Von Tunern, Täuschern und Trittbrettfahrern

14.05.2013 16:09 | Brandaktuell

 


Von Tunern, Täuschern und Trittbrettfahrern

Von Gerhard Gabriel

 

Von Tunern

 

 

 

Liebe Bogenschützen, ich habe mich in der letzten Zeit ein wenig in der Bogenszene und in der aktuellen Bogenliteratur umgesehen, um herauszufinden, was es mit der tieferen Bedeutung des Begriffs "Tuning" auf sich hat. Was ich da fand, könnte man für die Bibelstunde einer bogenschießenden Sekte halten. Da gibt es Theorien und Behauptungen, die entweder in Ermangelung von Fachwissen eigenen Wunschvorstellungen entspringen oder dazu benützt werden, um die heimlichen Wünsche und Erwartungen der gläubigen Jünger zum eigenen Vorteil auszunützen.

Da wird von Grobtuning und Feintuning, ja sogar von Mikrotuning erzählt, davon, wie man mit ein paar Umdrehungen am Button unpassende Pfeile passend machen und die Streuung verringern, d.h. die erzielte Ringzahl erhöhen kann.

Dabei stellte sich heraus, dass die Tuninganweisung eines bekannten amerikanischen Herstellers die Hauptquelle der allgemeinen Verwirrung ist. Abgesehen von einigen Feststellungen, die zufällig mit der Wahrheit übereinstimmen, vielleicht auch, weil sie irgendwo anders abgeschrieben wurden, ist die gesamte Abhandlung ein Sammelsurium von Deutungsversuchen von Erfahrungen, die von zweifellos hochklassigen und erfolgreichen Bogenschützen, aber dennoch Laien, im Laufe der Jahrzehnte gemacht wurden, aber in unprofessioneller Weise interpretiert und ausgelegt werden.

 

Die Entwicklung der Methode

Liebe Bogenschützen, zu Zeiten vor und nach den Olympischen Spielen 1972 in München gab es noch keine brauchbaren Theorien oder Anleitungen zum Abstimmen von Pfeil und Bogen, jedoch schon einige Wunschvorstellungen darüber, wie man einen neuen, noch unbekannten Pfeil unter Kontrolle bringen könnte.

Das klassische Beispiel ist die gute alte Styroporblockmethode auf eine kurze Entfernung von ungefähr 4 bis 5 m. Bei ihr wurde in Wirklichkeit der Pfeil nur so manipuliert, dass er beim Einschlag in den Block gerade bei seinem ersten Kurvenwendepunkt angelangt war und somit gerade einschlug. Das konnte man aber mit etwas Fantasie sowohl mit einem zu steifen als auch einem zu weichen Pfeil erreichen.

Daneben geisterte die so genannte "französische Methode" in den Köpfen herum. Sie beging den größtmöglichen Irrtum und bewies ein Höchstmaß an Unkenntnis der physikalischen Gegebenheiten der Strömungsdynamik, indem sie annahm, ein befiederter Pfeil könne vom Bogen weg bis zu einer Entfernung von 35 Metern eine einzige Kurve fliegen, was aber schlichtweg unmöglich ist. Ein befiederter Pfeil, der den Bogen in einer Schräglage zur direkten Linie in Richtung zur Zielscheibe verlässt, wird nämlich von seinem Leitapparat, sprich der Befiederung, in eine Schlangenlinie gezwungen, welche bis zur Entfernung 35 Meter mit Sicherheit mehr als zwei Umkehrpunkte hat.

Dann gab und gibt es immer noch die "amerikanische" Blankschaftmethode. Sie kommt der Wahrheit schon ein Stückchen näher. Ihr Fehler ist jedoch, dass sie den Vergleichstest zwischen dem befiederten und dem unbefiederten Schaft nur auf eine einzige Entfernung, z.B. 18 Meter vorsieht. Dies kann aber, wie sich an späterer Stelle herausstellen wird, zu verhängnisvollen Fehlschlüssen führen, nämlich dann, wenn sich die Flugbahnen des befiederten und des unbefiederten Pfeils zufällig in dieser Entfernung schneiden.

Allen genannten und auch einigen aktuellen Abstimm- sprich Tuningmethoden ist auf Grund ihrer Konzeption und eingewobener Wunschvorstellungen der Irrtum gemeinsam, dass sie eine Veränderung de Pfeileigenschaften durch bloßes Verstellen des Buttons für möglich halten. Dass das völlig unmöglich ist, werden wir an späterer Stelle sehen. Gemeinsam haben diese Tuningmethoden auch, dass sie ein zufriedenstellendes Ergebnis signalisieren, wenn der Spinewert des getesteten Pfeils zufällig vorher schon passend war. So können sie bestenfalls dem erfahrenen und versierten Bogenschützen von relativ beschränktem Nutzen sein. Sie konnten aber auch den erfolgreichen Bogenschützen eine ganze Saison kosten, wenn er sich bei der Anschaffung eines neuen vielleicht stärkeren Bogens und neuer Pfeile von dem in langen Jahren durch "Trial and Error" erarbeiteten guten Tuningzustand seines Geräts zu weit entfernt hatte.

Und dennoch gab es auch damals schon eine ganze Menge sehr guter Bogenschützen, wie den Rekordlisten unschwer zu entnehmen ist. Sie optimierten ihr Tuning durch bloßes Ausprobieren mit viel Zeitaufwand, Training, Geduld, Hinwendung und Optimismus, auch wenn sie nicht wussten, was da eigentlich vor sich ging.

 

Worum es geht

Liebe Bogenschützen, es ist ohnehin nicht notwendig, dass ein Bogenschütze, sei er noch so gut, oder ein Trainer, sei er noch so erfolgreich, die äußerst komplexen Vorgänge verstehen und richtig auslegen kann, die sich während eines Bogenschusses, insbesondere beim Recurvebogen abspielen.

Da es sich hier um Vorgänge handelt, die ausschließlich der aerodynamischen Strömungsmechanik  und der Schwingungsmechanik unterliegen,  müsste er schon eine Ausbildung oder ein Studium in den Fachrichtungen aerodynamische Strömungslehre und Schwingungsmechanik absolviert haben. Ein solcher Wissenshintergrund ist sogar unumgänglich, um beispielsweise die zweifellos sehr wertvollen Hochgeschwindigkeitsvideos von Werner Beiter interpretieren und die richtigen Schlüsse daraus ziehen zu können.

Ehrlich gesagt habe ich in meinem langen Bogenschützenleben so gut wie niemanden getroffen, der diese Anforderungen perfekt in sich vereint hätte, was natürlich nicht heißen soll, dass es solche Personen nicht gibt, die allerdings auch noch Bogenschützen sein müssten.

Da mich diese Thematik nicht los ließ, begann ich Anfang der 80ger Jahre, die Mechanik des Schusses mit Pfeil und Bogen und somit auch die Grundlagen des Pfeiltunings zu untersuchen und habe meine Erkenntnisse im Jahre 1983 in der Broschüre "Pfeilflug wie auf Schienen" veröffentlicht.

Ab hier bitte ich den geneigten Leser um besondere Aufmerksamkeit, denn was jetzt kommt, ist unerlässlich für das Verständnis der wahren Zusammenhänge und der Möglichkeiten, die es für ein zielgerichtetes und wirksames Tuning gibt.

 

Was wirklich passiert

Zunächst müssen wir uns darüber klar werden, was wir unter einem perfekt getunten Zustand, dem "perfect tune", unseres Systems Pfeil und Bogen zu verstehen haben.

Eines zumindest haben die Autoren der amerikanischen Tuninganleitung schon einmal richtig erkannt, nämlich den Pfeil durch geeignete Auswahl oder Veränderung dahin zu bringen, dass beim Verlassen des Bogens die Verbindungslinie seiner beiden Schwingungsknoten genau zur Mitte der Zielscheibe zeigt, so dass er keinen resultierenden Anstellwinkel zur stehenden Luft hat und somit keinen aerodynamischen Abdriftkräften ausgesetzt ist.

Nun analysieren wir das schwingungstechnische Verhalten des Pfeils vom Augenblick des Lösens der Sehne bis zum Augenblick, in dem der Pfeil aus der Sehne ausnockt, d.h. in welchem er den Bogen verlässt.

N.B.: Es empfiehlt sich, den Pfeil vorher exakt in die Mittelstellung im Bogen zu bringen. Das Märchen von der "off-center"-Stellung stammt noch aus der Zeit, als die Bogenmittelteile nicht über die Mitte geschnitten waren und der Pfeil notgedrungen außermittig stand und hat sich durch permanentes Nachplappern in unsere Zeit herüber gerettet.

Im vollen Auszug zeigt die Längsachse des Pfeils, also auch die gedachte Verbindungslinie der beiden Schwingungsknoten, zur Mitte der Zielscheibe. Beim Lösen erfährt die Sehne durch das Gleiten über die Fingerkuppen eine kräftige seitliche Auslenkung (beim Rechtshandschützen nach links) und nimmt durch die formschlüssige Verbindung des  Pfeilnocks das Pfeilende mit nach links. Dadurch wird der Pfeil in eine heftige Biegeschwingung versetzt, die sich nun auf seinem Beschleunigungsweg nach vorn mit seiner Eigenschwingungsfrequenz, überlagert von der Schwingungsfrequenz der Sehne, fortsetzt.

Bei näherer Betrachtung stellen wir nämlich fest, dass wir es hier mit einem recht komplexen Schwingungsvorgang zu tun haben, bei dem nicht weniger als vier elastisch schwingungsfähige  Elemente aneinander gekoppelt sind und sich gegenseitig beeinflussen, nämlich 1) der Pfeilschaft, 2) die Sehne und 3) und 4) die beiden Wurfarme. Wir sagen, wir haben hier eine Koppelschwingung, bei der sich die Schwingungsfrequenzen der einzelnen elastischen Schwinger überlagern und teilweise zeitversetzt gegenseitig beeinflussen.

Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit, dass der Pfeil bis zum Augenblick des Ausnockens eine vollständige Schwingung (1 Lambda) absolviert haben muss, damit, wie vorstehend festgestellt, die Verbindungslinie der beiden Schwingungsknoten wieder zur Scheibenmitte zeigt, wie es vor Beginn und am Ende des Auszugsvorgangs der Fall war. In anderen Worten: die Eigenschwingungsdauer und die Beschleunigungszeit des Pfeils durch den Bogen vom Augenblick des Lösens bis zum Ausnocken müssen gleich lang sein. Das Ausnocken erfolgt übrigens genau in dem Moment, in welchem die Sehne gerade und gestreckt ist (ursprüngliche Spannhöhe).

Je steifer ein Pfeilschaft ist, umso kürzer ist seine Eigenschwingungsdauer und, je weicher er ist, umso länger ist seine Eigenschwingungsdauer. Je weiter sein Schwerpunkt nach vorn verlagert wird, umso weicher reagiert der Pfeil, da seine physikalische Gesamtlänge erhöht wurde - und umgekehrt.

Jetzt verstehen wir auch besser, was die verschiedenen Tuningmaßnahmen bewirken. Wir verändern damit die Eigenschwingungsdauer des Pfeils, um sie an die Beschleunigungszeit anzupassen.

Ist der Pfeil zu steif, so ist seine Eigenschwingungsdauer kürzer als die Beschleunigungszeit, und die Pfeilspitze hat im Augenblick des Ausnockens die Mittelachse bereits wieder nach links überschritten. Die Folge ist, dass er den Bogen unter einem Anstellwinkel nach links verlässt, und der unbefiederte Pfeil eine nach links gekrümmte Flugbahn beschreibt.

Ist der Pfeil zu weich, so ist seine Eigenschwingungsdauer länger als die Beschleunigungszeit, und die Pfeilspitze ist im Augenblick des Ausnockens noch nicht in die Mittelstellung zurückgekehrt. Die Folge ist, dass er den Bogen unter einem Anstellwinkel nach rechts verlässt, und der unbefiederte Pfeil eine nach rechts gekrümmte Flugbahn beschreibt.

An den nachstehenden Beispielen können wir zur besseren Anschauung einige kleine Gedankenspiele machen.

Was bewirke ich, wenn ich bestimmte Maßnahmen anwende, um die dynamische Steifigkeit eines Pfeils zu ändern?

Ermittelter Pfeil-Spine

Notwendige Korrekturmaßnahme

Auswirkung der Maßnahme

zu steif

Pfeil-Schwerpunkt nach vorn verlagern (schwerere Spitze)

Erhöhung der Eigenschwingungsdauer

zu steif

weicheren Pfeil wählen

Erhöhung der Eigenschwingungsdauer

zu steif

Bogenzuggewicht erhöhen

Verkürzung der Beschleunigungszeit

zu steif

Spannhöhe vergrößern

Verkürzung des Beschleunigungsweges und somit der Beschleunigungszeit

zu weich

Pfeil kürzen

Verkürzung der Eigenschwingungsdauer

zu weich

steiferen Pfeil wählen

Verkürzung der Eigenschwingungsdauer

 

Grundsätzlich erzielt man immer die größtmögliche Wirkung zum Zwecke des optimalen Tunens, wenn man Änderungen am Pfeil zur Anpassung seiner Eigenschwingungsdauer an die Beschleunigungszeit vornimmt.

Änderungen am Bogenzuggewicht, an der Spannhöhe, an der Sehnenmassenverteilung usw. haben vergleichsweise geringe Auswirkungen und sind nur zu empfehlen, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.

Hier können wir auch schon sehen, dass man durch bloßes Drehen am Button weder die Eigenfrequenz des Pfeilschafts noch die Beschleunigungszeit des Bogen verändern kann, also das System nicht tunen kann.

Mit der Buttonhärte hat es eine ganz andere Bewandtnis, wie wir gleich sehen werden.

 

Die Buttonhärte

Als Victor (Vic) Berger, ein nach Amerika ausgewanderter begnadeter Bogenschütze, der Bogensportwelt den nach ihm benannten Berger-Button schenkte, wusste er schon sehr genau, was dieser Button bewirken sollte, nämlich Fehler und Unregelmäßigkeiten beim Lösen abmildern. Je gröber der Fehler, desto weicher stellte man den Buttondruck ein. Je perfekter der Lösevorgang etwa bei einem Topschützen, umso härter sollte der Buttondruck sein, damit der Schütze Lösefehler, die im Begriff waren, sich einzuschleichen, frühzeitig erkennen und korrigieren konnte.

Dieser Zusammenhang wird heute oft als Tuningmaßnahme missverständen und ist in Wirklichkeit nur ein vorübergehendes Hilfsmittel. Eine starke Streuung sollte dem Schützen eigentlich signalisieren, dass sein Lösevorgang verbesserungsbedürftig ist und er daran arbeiten sollte.

Die Buttonhärte ist somit ein persönlicher auf den Bogenschützen individuell bezogener Parameter, d.h. ein Maß für die Qualität seines Lösevorgangs. Sie wird bei meiner Tuning-Methode im Zuge der vorbereitenden Tätigkeiten automatisch ermittelt.

In der Tuninganleitung "Pfeilflug wie aus Schienen heißt es unter Punkt 1 auf Seite 07: Man stellt die Position des Buttons so ein, dass der gewählte Pfeil exakt mittig im Bogen liegt.

Das Visier wird der Seite nach ebenfalls mittig eingestellt, so dass der Visiertunnel bzw. der Visierpunkt genau senkrecht über dem Pfeil steht.

Höheneinstellung des Visiers: 30 m.

Nun schießt man einige befiederte Pfeile ohne Änderung der beschriebenen Einstellungen aus 30 m Entfernung auf die nachstehend dargestellte Messscheibe und beobachtet die Trefferlage. Liegt die Treffergruppe links vom Zielpunkt, so stellt man die Buttonfeder so lange weicher, bis Trefferlage und Zielpunkt übereinstimmen. Bei Rechtslage der Treffer verfährt man umgekehrt, das heißt, man stellt die Buttonfeder härter.

Eine weitere Verbesserung ist vielleicht noch möglich, wenn man, wie auf Seite 12 unten rechts unter "Pfeil streut – Schütze noch ungeübt" beschrieben, die Buttonfeder noch weicher stellt und die Buttonposition nach links verstellt, bis die mittige Trefferlage wieder hergestellt ist.

Damit ist auch schon die Ermittlung der individuellen Buttonhärte für den betreffenden Bogenschützen und sein Gerät in der ersten Phase beendet. Selbstverständlich ist dieser Vorgang nach Beendigung des Pfeiltunings zu wiederholen, bis die Trefferlage exakt mittig und der Streudurchmesser optimal ist.

 

Die Bedeutung des Tunings

Liebe Bogenschützen, bitte unterschätzen Sie nicht die enorme Wichtigkeit des perfekten Pfeiltunings. Ohne dieses gibt es keine persönliche Höchstleistung. Diese erfordert nun einmal den hundertprozentigen Einsatz, bestehend aus 100 % Trainingsfleiß, 100 % Einsatzwillen, 100 % Motivation, 100 % richtiger Traineranweisung und eben 100 % Tuning.

 

Die Tuning-Methode "Pfeilflug wie auf Schienen"

Hier möchte ich Ihnen meine Methode "Pfeilflug wie auf Schienen" wärmstens ans Herz legen. Sie ist die vollständigste, am leichtesten anzuwendende und genaueste Methode, die auch bei Anfängern perfekt funktioniert. Sie wendet Erkenntnisse aus der aerodynamischen Strömungslehre an, um den Winkel sichtbar zu machen, den der Pfeil gegenüber der stehenden Luft hat, wenn er den Bogen verlässt. Der Pfeil ist ein aerodynamischer Strömungskörper, der sich in stehender Luft bewegt und Abtriebs- bzw. Auftriebskräften oder seitlichen Kräften unterliegt, wenn er einen Anstellwinkel zur stehenden Luft hat.

Verlässt ein unbefiederter Pfeil den Bogen unter einem solchen Anstellwinkel, so wird er in Richtung dieses Winkels abgedrängt und in eine Kurvenbahn gezwungen, die je nach der Größe dieses Winkels weiter oder enger gekrümmt ist. Dieses Prinzip wird bei der Methode "Pfeilflug wie auf Schienen" angewendet, um festzustellen, ob und wie schräg der Pfeil den Bogen verlässt: der zu steife Pfeil nach links und der zu weiche Pfeil nach rechts. Das wiederum führt dazu, dass der zu steife unbefiederte Pfeil eine nach links gekrümmte und der zu weiche Pfeil eine nach rechts gekrümmte Kurve beschreibt.

Fliegt der unbefiederte Pfeil bis zur Entfernung von etwa 30 m eine gerade Linie, d.h. er verlässt den auf der Messscheibe eingezeichneten Bereich zwischen den beiden Toleranzlinien nicht, so bedeutet dies, dass er den Bogen unter einem Winkel von null Grad, d.h. genau in Richtung des Zielpunkts verlassen hat und somit ideal abgestimmt ist.

Hier einige Beispiele

Spine-Abstimmung

Messscheibe senkrecht. Zielpunkt unten

 

 

Beispiel: Der Blankschaft bricht bei 15 m nach rechts aus: Der Pfeil ist um mindestens eine Code-Stufe zu weich und ist auszutauschen.

 

Beispiel: Die Kurven schneiden sich zufällig bei 21 m. Die Blankschaftflugkurve ist nach rechts gekrümmt: Pfeil viel zu weich. Buttoneinstellung falsch.

 

Beispiel: Der Blankschaft bricht bei ca. 24 m nach links aus: Der Pfeil ist zu steif, lässt sich aber durch schwerere Spitze oder Vergrößerung der Bogenspannhöhe korrigieren.

Beispiel: Beide Kurven liegen innerhalb des Toleranzbereichs Der Pfeil ist optimal abgestimmt.

 

Von Täuschern

Grobtuning – Feintuning

Liebe Bogenschützen, lassen Sie sich nicht verunsichern. Es gibt kein Grob- oder Feintuning und schon gar kein "Mikrotuning". Es gibt nur ein Tuning, nämlich das Aufeinanderabstimmen der Parameter von Pfeil und Bogen, d.h. der Eigenschwingungsfrequenz des Pfeils und der Beschleunigungszeit des Bogens, um sicherzustellen, dass der Pfeil, besser gesagt jeder Pfeil, den Bogen genau in Richtung der Scheibenmitte verlässt.

Täuscher sind in der Regel engagierte Mitmenschen, die, sei es in der Funktion von Übungsleitern, Trainern oder Herstellern, mangels fundiertem Fachwissen dazu neigen, sich selbst zu täuschen und naive Wunschvorstellungen und entsprechende Irrtümer entwickeln und an andere Bogenschützen weitergeben, oft sogar glaubwürdig und erfolgreich, weil sie die Erfüllung fundamentaler Sehnsüchte und Wünsche wie hohe Ringzahlen, Erfolg und Anerkennung in Aussicht stellen.

Ein typisches Beispiel dafür sind die diversen immer aufwendiger werdenden Stabilisatorsysteme, denen so viele wundersame Fähigkeiten nachgesagt werden, unter anderem die sofortige Dämpfung der Schwingungen der Wurfarme, der Sehne und sogar der Schwingungen des Pfeils während seiner Beschleunigungszeit im Bogen, verbunden mit der deutlichen Erhöhung der erzielten Ringzahlen.

Nichts davon ist wahr. Die entsprechenden Hochgeschwindigkeitsvideos von Werner Beiter zeigen eindeutig, dass das Stabilisatorensystem erst in Schwingungen versetzt wird und somit wirksam werden kann, wenn der Pfeil schon längst den Bogen verlassen hat. Aus der Schwingungslehre weiß man ohnehin, dass die erste vollständige Schwingung in jedem noch so gut gedämpften System sich immer völlig ungedämpft durchsetzt und vom keinem Dämpfungssystem der Welt verhindert werden kann. So traurig es klingen mag, nicht einmal Lösefehler kann ein Stabilisatorensystem abmildern, und sei es noch so teuer.

Die einzige nachweisbare Wirkung eines Stabilisatorensystems ist, dass es dem Schützen helfen kann, ruhiger zu zielen, indem es durch sein Dämpfungsvermögen die Zitterbewegungen des Bogens und somit des Visiers abmildert. Auch kann es durch ein rascheres Abklingen der Schwingungen des Bogenmittelteils und der Wurfarme nach dem Schuss das Abschussfolgegeräusch des Bogens etwas angenehmer gestalten und somit psychologisch beruhigend auf den Schützen einwirken, und last not least ist es Bestandteil der dem Schützen mit der Zeit vertraut gewordenen Gesamtmasse und Schwerpunktlage des Bogens . Das war es aber auch schon.

 

Von Trittbrettfahrern

Zu den interessantesten Begleiterscheinungen des Wettbewerbs auf dem weltweit umkämpften Bogensportartikelmarkt gehört, dass einige zweifellos erfolgreiche Anbieter offensichtlich über Nacht entdeckt haben, dass sie auch über fachliche Kompetenz  in so komplexen Bereichen wie Trainingslehre und Tuningpraxis verfügen.

Die weiter oben genannte amerikanische Tuninganleitung zum Beispiel ist ein Konzentrat von Uraltwissen, das so gar nicht mehr in die heutige Zeit passt.

Und dennoch springen viele im heutigen Bogensport tätige Übungsleiter, Trainer oder Händler auf diesen alten Zug auf und zitieren aus dieser Tuninganleitung, man könne mit ein paar Drehungen am Button unpassende Pfeile passend machen. Ich hatte sogar schon das Vergnügen, eine optisch sehr ansprechend aufgemachte und bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Methode für das "Microtuning" mittels des Buttons mit schönen Abbildungen genießen zu dürfen.

Aber irgendwie fühlte ich mich dabei an das Märchen von "des Kaisers neuen Kleidern" erinnert. Da ging es um überaus prächtige und kostbare jedoch nicht existierende Kleider, die unter glühenden Anpreisungen mit der Behauptung, "dumme Menschen könnten sie nicht sehen", an den Kaiser verkauft werden sollten.

Ich meine, dass im Sinne der Ehrlichkeit und zum Nutzen aller Bogenschützen jedem Übungsleiter, Trainer oder Bogenlehrer immer bewusst sein sollte, dass vor dem Lehren das Lernen stehen muss.

Als ich in den 70er Jahren meinen Button, der Vorgänger und Vorbild für alle modernen Buttons war, entwickelte und auf den Markt brachte, hätte ich nie zu behaupten gewagt, man könne damit unpassende Pfeile passend machen. Es ist einfach nicht möglich. Einen guten Button zeichnen ausschließlich seine Funktionssicherheit, seine Wiederholungsgenauigkeit, seine Wartungsfreiheit und seine Langlebigkeit aus.

In diesem Sinne

Alle ins Gold!

 

Kommentare

Manfred K., 06.04.2014 11:49

Hallo Herr Gabriel, (oder Gerhard, da man sich unter Bogenschützen "duzt") Zufälligerweiße bin ich auf ihren Bericht gestoßen. Ich habe diesen mit großen Interesse förmlich verschlungen. Sie sprechen mir mit all ihren darin beschriebenen Erkentnissen aus der Seele. Nach langem "tunen" an meinem Bogen und immer wiederkehrendem hin- und herdrehen an allen möglichen Teilen hat mich am Ende auch nur die Try and Error Methode zum Ziel gebracht. Jetzt nachdem ich das hier gelesen habe weiß ich auch warum. Es kommt noch dazu, dass ich Blankbogenschütze bin und Stringwalking nutze. Grüße Manfred Kissel

Markus I., 06.03.2014 23:50

Kann ich absolut nachvollziehen. Die Methode von Gerhard klingt als einzige mir bekannte nachvollziehbar. Zum ersten mal kann ich wirklich verstehen warum ein zu steifer Pfeil nach links und ein zu weicher nach rechts abdriftet (bei Rechtshandschützen). Ein Kleinigkeit fehlt allerdings noch in der Erklärung: im Moment des ausnockens hat ein unpassender Pfeil nur deshalb einen Anstellwinkel, da der hintere Schwingungsknoten ja um die Gerade die zum Ziel hin zeigt herum schwingt, da die Nocke ja von der Sehne festgehalten wird. Gerade so wie wenn man einen zappelnden Fisch am Schwanz festhält. Würde die Sehne das "Nockenzappeln" vollständig mitmachen, bliebe wohl die Verbindungslinie der beiden Schwingungsknoten mehr oder weniger exakt auf der geraden Linie zum Ziel. Mit anderen Worten: bei einem unpassenden Pfeil kommt das ausnocken zu einem unpassenden Zeitpunkt, nämlich dann wenn der hintere Knoten gerade nicht auf der Geraden zum Ziel hin liegt.

Christian G., 13.12.2013 18:15

Ein hervorrangenden Beitrag. Für mich, als Anfänger, ein sehr guter und verständlicher Beitrag, der mir sicherlich mehr Verständnis für das Bogen-'tuning' gegeben hat. Zukünftig werde ich wohl erwähnte Tuning-Anleitungen mit einer gesunden Portion Skepsis betrachten und mich nicht von diesen in die Irre leiten lassen. Vielen Danke für diese äusserst hilfreichen Informationen!

Roland B., 01.10.2013 09:35

Hallo Herr Gabriel, Ihre Meinung deckt sich auch mit meinen Erfahrungen. Scheinbar das ganze Bogengeschäft scheint auf Täuschung zu beruhen. Man findet doch kaum echte Informationen über die Produkte, nur markige Werbeaussagen. Und die meisten Händler stoßen in das gleiche Horn. Meist nur nachgeplapperte Werbetexte, sonst nichts. Man muss davon ausgehen, dass wir in Sachen Bogensport eher Emotionen als echte technische Errungenschaften verkauft bekommen. Glücklicherweise bin ich endlich bei Ihnen angekommen, hier merkt man, der Mann versteht was von der Materie. Nur schade, dass Ihr Angebot nicht weiter reicht. Machen Sie weiter so, auch mit Ihren Textbeiträgen! R. Bochynek

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