Scheibenwinkel und Ringzahlen

18.02.2015 20:53 | Brandaktuell

 
Scheibenwinkel und Ringzahlen
 
von Gerhard Gabriel
 
 
Was haben Scheibenwinkel und Ringzahlen miteinander zu tun?
 
Bei näherem Hinsehen wesentlich mehr als man auf den ersten Blick vermuten würde.
 
 
Die Altlasten
 
Bogenschützen schießen schon seit Generationen auf Scheiben, die in einem Winkel von 15 Grad zur Senkrechten aufgestellt sind. Aus gutem Grund. 
 
Zum einen waren  die Flugkurven mit den weniger leistungsfähigen Bögen und den schwereren Pfeilen deutlich höher, so dass der sich daraus ergebende steilere Einschlagwinkel in etwa zum Scheibenwinkel passte. 
 
Zum anderen ist mit den konventionellen Scheibenständern, die laut der alten internationalen Sportordnung einen Scheibenwinkel von 15 Grad haben sollten, ein Winkel von 10 Grad gar nicht mehr möglich, ohne Gefahr zu laufen, dass die Scheibe z.B. beim Herausziehen der Pfeile nach vorn kippen und Personen verletzen könnte. Man stelle sich vor, bei einem solchen Vorfall würden noch Pfeile in der Scheibe stecken und vielleicht Kinder verletzt werden. Somit war die 15°-Regel lange Zeit sehr berechtigt und wertvoll im Sinne der Sicherheit der Bogenschützen. Deshalb verwenden auch heute noch zahlreiche Veranstalter in Ermangelung geeigneter Ständer Scheiben mit 15° Neigungswinkel, obwohl die aktuell geltende Sportordnung bereits seit einigen Jahren 0° bis 10° vorschreibt.
 
 
Die neuen Gegebenheiten
 
Interessanterweise ergeben aber nähere Analysen und Berechnungen, gerade mit den modernen erheblich schnelleren Karbonfaserpfeilen deutlich flachere Flugbahnen und Einschlagwinkel in die Scheiben, so dass die Pfeile nicht mehr im rechten Winkel zur Scheiben einschlagen. Dies wiederum bedeutet, dass die kreisförmige Scheibe für den ankommenden Pfeil zur Ellipse wird. In der Tat verkürzt sich die vertikale Achse der Scheibe, und die verfügbare Trefferfläche wird kleiner. Im Prinzip ist die Standsicherheit das einzige Argument, das für die 15 Grad-Scheibe spricht - so lange es nicht eine andere Lösung gibt.
 
In Zahlen ausgedrückt ergeben sich folgende Werte für die Einschlagwinkel zur Waagerechten und die Verkürzung der Vertikalachse auf die verschiedenen Entfernungen. Den Werten liegt eine standardisierte Pfeilfluggeschwindigkeit bei einem Turnierbogen mit ca. 40 lbs Zugkraft und einer Auszuglänge von ca. 28“ zu Grunde. Mit den in der Spalte „Einschlagwinkel …“ angegebenen Winkelbereichen sind Abweichungen der Pfeilfluggeschwindigkeit bei Bögen mit  schwächerer  Zugkraft oder bei kürzeren Auszuglängen schon berücksichtigt. 
 
 
Scheiben winkel uund Entfernungen
 
Aus den unterschiedlichen Einschlagwinkeln auf den verschiedenen Entfernungen ergibt sich, dass es für jede Entfernung einen optimalen Scheibenwinkel gibt.
 
 
 
 Um nun ein Beispiel herauszunehmen, würde dies auf der 18m-Entfernung und dem 40cm-Scheibenblatt bedeuten, dass ein Pfeil, der in einem lichten Abstand von weniger oder gleich 0,7mm über bzw. 0,6mm unter dem 10er-Ring, also in der 9 steckt, beim optimalen Scheibenwinkel eine 10 wäre. Analog würden die entsprechenden Abstände in Bezug auf den 1er-Ring oben 7mm und unten 6mm betrageen und über 0 oder 1 Ring entscheiden.

Sogar über Platzierungen  oder gar Qualifikationen zu nächsthöheren Meisterschaften können diese geometrischen Zusammenhänge entscheiden, insbesondere, wenn auf Dreier-Spots geschossen wird, wie dies ja bei Meisterschaften üblich ist. Hier kann der Scheibenwinkel bei Treffern wenige oder gleich 3,5mm über bzw. 3mm uner dem 6er-Ring darüber entscheiden, ob im Schusszettel hinterher 0 Ringe oder 6 Ringe stehen.

 

Die Pfeilflugbahnen und die Einschlaggeometrien sind zur besseren Veranschaulichung in nachstehenden Abbildungen an den Beispielen 70m und 18m grafisch dargestellt.

 
 
                  
 
                
 
In der Ansicht von vorn würde sich der Wandel vom Kreis zur Ellipse wie folgt darstellen. Bei der 70m-Scheibe ergibt sich zwischen dem optimalen Scheibenwinkel von 5° und dem herkömmlichen Scheibenwinkel von 15° ein Differenzwinkel von 10°. Dies ist gleichbedeutend mit einem Verlust an verfügbarer Trefferfläche um 1,52% d.h. ca.172 cm², was der Fläche einer mittelgroßen Männerhand entspricht. Siehe nachstehende Abbildung.
 
                        
 
 
 
Bei  der 18m-Scheibe ergibt sich zwischen dem optimalen Scheibenwinkel 0° und dem herkömmlichen Winkel 15° die volle Winkeldifferenz von 15°. Dies bedeutet wiederum  einem Verlust an verfügbarer Trefferfläche um 3,4% d.h. 42,8 cm², wie die nachstehende Abbildung zeigt.
 
                         
 
 
 
Die Kosequenzen
 
Es wäre nun nicht uninteressant, mittels einer Langzeitstudie festzustellen, wie oft statistisch ein Fall auftritt, bei dem ein zu schräger Scheibenwinkel zum Verlust eines oder mehrerer Ringe führt. Es gibt tatsächlich darüber keinerlei Erkenntnisse. Angenommen, es würde sich herausstellen, dass dies in einem Wettkampf bestehend aus 30, 60, 36 oder 72 Pfeilen auch nur ein einziges Mal vorkommt, so käme man zum Beispiel bei Qualifikationen und vor allem  bei Rekorden schon mal ins Grübeln, ob diese authentisch sind oder etwa nicht. Darüber sollten sich speziell die Verbände sowie die Ausrichter von Meisterschaften oder anderen rekordberechtigten Turnieren Gedanken machen, ganz abgesehen von der fehlendenden Regelkonformität bei Verwendung von 15°-Scheiben. 
 
 
Die Umstellung auf regelkonforme Scheibenwinkel bietet eigentlich nur Vorteile. Für den Schützen ändert sich überhaupt nichts, die Visiereinstellung bleibt exakt die gleiche. Die statistische Chance, höhere Ringzahlen zu erreichen, wächst, da die verfügbare Trefferfläche größer wird, und die wieder kreisförmig werdenden Ringe sich auf grenzwertige Pfeile zu bewegen.
 
Für den Veranstalter ergibt sich der Vorteil, einen regelkonformen Wettbewerb ausrichten zu können, wobei sich auch noch die statistische Wahrscheinlichkeit besserer Ergebniszahlen erhöht.
 
Es ist auch zu erwarten, dass sich nach einer gewissen Zeit sowohl die nationalen als auch der internationale Bogensportverband ihre Sportordnungen an die neuen Gegebenheiten anpassen werdn.
 
 
Doch nun von der Theorie zur Praxis.
 
Auf der Grundlage dieser Überlegungen und Analysen hat die Firma GABRIEL BOGENSPORT einen neuartigen Scheibenständer mit der geschützten Bezeichnung „GSS3“ entwickelt, der es ermöglicht, die Schießscheiben gradweise in einem Bereich von 0° bis 6° zur Senkrechten einzustellen, und dies mit ein paar sehr einfachen Handgriffen. Dabei ist es nicht einmal notwendig, den Scheibenständer zum Boden hin zu verspannen. Er steht völlig eigenstabil, sowohl auf Hallenböden als auch im Freien. Es ist lediglich erforderlich, die Scheibe mit dem Scheibenständer zu verbinden, damit sie etwa beim Herausziehen der Pfeile nicht vornüber kippen kann. Siehe Abbildungen am Ende des Artikels.
 
Auf Grund seiner durchdachten materialsparendenden Bauweise bietet der Ständer eine maximale freie Rückwandfläche, was sich speziell bei Durchschüssen in betagteren und weich geschossenen Scheiben als enorm Pfeile schonend erweist. Er eignet sich für eine Vielzahl von Scheiben verschiedener Fabrikate und Größen, z.B. die klassische Stramitscheibe mit 125 cm Durchmesser, sowie  quadratische oder rechteckige Scheiben mit mindestens 100 cm Länge der längsten Kante und allen handelsüblichen Dicken.
 
Der Ständer lässt sich ohne jegliches Werkzeug mit nur zwei Handgriffen aufbauen und zusammen klappen und benötigt dann ein Minimum an Lagerraum.
 
Und nun noch ein Bonbon zum Abschluss. Dank der Tatsache, dass es jetzt möglich ist, den Scheibenwinkel auf den entsprechenden Entfernungen optimal einzustellen, können die Pfeile auch in Stramitscheiben genau in Faserrichtung eintauchen, und der bekannte „Eintauchbiegeschock“, der beim Einschlag schräg zur Faserrichtung auftritt und empfindliche Kohlefaserpfeile empfindlich schädigen, ja sogar zerstören kann, gehört der Vergangenheit an.
 
Der „GSS3“ ist bereits zum Patent angemeldet.
 
Geliefert wird er weitgehend vormontiert, so dass für den Anwender nur noch das Bestreichen der Verbindungsflächen mit etwas Weißleim und das Eindrehen von 4 mal 3 Holzschrauben zu tun bleibt.
 
              So sieht der GSS3 aus:                                             ... und so funktioniert er:
 
                               

                                                      

              
 
 

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